Elektrophysiologie
Ein Schwerpunkt der Abteilung Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Gießen ist die Erkennung und Behandlung von Herzrhythmusstörungen im Kindes- und Jugendalter und bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern.
Unterschieden wird zwischen bradykarden Herzschrittmusstörungen (wenn das Herz zu langsam schlägt) und tachykarden Herzrhythmusstörungen (wenn das Herz zu schnell schlägt). Herzrhythmusstörungen können in diesem Zusammenhang in jedem Alter, jedoch bereits auch im Neugeborenenalter, auftreten wobei das Spektrum von harmlosen Arrhythmien bis zu lebensbedrohlichen Formen reicht.
Neben pädiatrischen Patienten mit einem strukturell normalen Herzen werden auch alle pädiatrischen und erwachsenen Patienten mit einem angeborenen Herzfehler, vor oder nach herzchirurgischen Eingriffen, in der Abteilung Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler des Universitätsklinikums Gießen behandelt. Ärztliche Erfahrung und neueste Technologien in unserer Klinik sorgen für einen hohen Qualitätstandard.
In unserer Rhythmusambulanz legen wir einen großen Wert auf eine ausführliche Beratung, zudem werden alle Formen der nicht-invasiven Diagnostik angeboten.
In Abhängigkeit von der zugrundeliegenden Herzrhythmusstörung wird ggf. eine der folgenden spezifischen Therapien eingeleitet:
- Beginn einer medikamentösen Therapie
- Durchführung einer elektrophysiologischen Katheteruntersuchung
- Implantation von modernsten Herzschrittmachern, implantierbaren Defibillatoren (ICD), CRT-Systeme und Eventrecorder zur Diagnostik und Therapie
Insbesondere die katheterinterventionelle Behandlung von tachykarden Herzrhythmusstörungen ermöglicht die Chance auf eine dauerhafte Heilung. Die Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler des Universitätsklinikums Gießen ist eine der wenigen Kliniken bzw. Zentren in Deutschland, die auf die invasive Elektrophysiolgie im Kindesalter und bei Erwachsenen mit einem angeborenen Herzfehler spezialisiert ist.
Elektrophysiologische Untersuchung
Die elektrophysiologische Untersuchung (EPU) erfolgt im Kinderherzkatheterlabor und dient der invasiven Diagnostik von tachykarden Herzrhythmusstörungen. Die Untersuchung ermöglicht eine genaue Differenzierung der Tachykardieformen und dadurch eine Einschätzung des Gefährdungspotentials für den Patienten. Auch bei Patienten mit wiederholt unklaren Synkopen und Verdacht auf eine kardiale Genese ist diese Methode hilfreich, um lebensbedrohliche Formen von Herzrhythmusstörungen weitgehend ausschließen zu können.
Zur Diagnostik werden mehrere dünne Elektrodenkatheter im Herzen positioniert und anschließend der Ablauf der elektrischen Aktivierung des Herzens gemessen. Zusätzlich wird durch Stimulationsmanöver - dies kann der Patient als Herzstolpern wahrnehmen - die zugrundeliegende Rhythmusstörung induziert. Ggf. ist im Laufe der Untersuchung der Einsatz von zusätzlichen Medikamenten, die z.B eine sportliche Belastung simulieren können, erforderlich.
Die Sondierung des Herzens und der herznahen Gefäße ist schmerzfrei, lediglich die Punktion der Leistengefäße zum Einführen der Katheter ist nicht völlig schmerzlos. Aus diesem Grunde erfolgt wie beim Zahnarzt eine lokale Betäubung in der Leiste und in der Regel eine zusätzliche Analgosedierung, so dass der Patient die Untersuchung schmerzfrei „durchschläft“, eine Vollnarkose aber vermieden wird. Bei jüngeren Kindern erfolgt die Untersuchung im Dämmerschlaf („Analgosedierung“).
Nach Erkennung und Klassifikation der Tachykardie wird nach sorgfältiger individueller Abwägung von Nutzen-Risiko in der gleichen Untersuchung die Rhythmusstörung therapiert und das für die Tachykardie verantwortliche Gewebe verödet bzw. abladiert (Katheterablation). Dadurch kann bei den meisten Patienten eine dauerhafte Heilung erzielt werden.
Das Team besteht aus 3 spezialisierten Kinderelektrophysiologen, Frau Maria Gonzalez (Kinderelektrophysiologin in der Abteilung Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Gießen), Herrn PD Dr. med. David Backhoff (Kinderelektrophysiologe in der Abteilung Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Gießen) und Herrn PD Dr. med Thomas Kriebel (Kinderelektrophysiologe in der Abteilung Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Gießen und Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Westpfalz-Klinikums) sowie den hochqualifizierten Pflegekräften des Kinderherzkatheterlabors.
Katheterablation
Die Katheterablation ist heutzutage häufig die Methode der Wahl zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Oftmals kann durch die Katheterablation die Herzrhythmusstörung ganz beseitigt werden. Durch das Vorbringen von mehreren Elektrodenkathetern werden die millimeter-großen Areale des Herzmuskels identifiziert, die eine Herzrhythmusstörung auslösen oder am Laufen halten und unter der Verwendung von Wärme (hochfrequenter Wechselstrom) oder Kälte (die Cryo-Ablation, -75°C) verödet. Insbesondere bei der Ablation von sogenannten AV-Knoten-nahen Substraten kann die Cryoenergie die Sicherheit der Ablationsbehandlung erhöhen.
Invasives Leistungsspektrum:
In der Abteilung Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Gießen wird das gesamt Spektrum der Ablationstherapie im Kindesalter durchgeführt. Eine Spezialisierung liegt in der Behandlung komplexer Arrhythmien bei Patienten mit angeborenen Herzfehler.
EPU und Ablationstherapie bei Supraventrikulären Tachykardien
- WPW-Syndrom, "verborgene" Leitungsbahnen, permanente junktionale Reentrytachykardie
- AV-Knoten-Reentrytachykardien
- Fokale atriale Reentrytachykardien
- Vorhofflattern
- Junctionale ektope Tachykardien
- Komplexen supraventrikuläre Tachykardien (z.B. postoperative atriale Reentrytachykardien) bei Kindern und Jugendlichen als auch bei EMAH Patienten
EPU und Ablationstherapie bei Ventrikulären Tachykardien
- Idiopathische Ausflusstrakttachykardien
- Linksfaszikuläre ventrikuläre Tachykardien (Typ Belhassen)
- Komplexen ventrikuläre Tachykardien (z.B. postoperative ventrikuläre Reentrytachykardien) bei Kindern und Jugendlichen als auch bei EMAH Patienten
EPU mit Risikostratifizierung
- Invasive elektrophysiologische Untersuchung zur Risikostratifizierung für das Auftreten von lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen (mit Isoprenalinprovokation; Ajmalin- und Epinephrintest, ggf. Myokardbiopsie)
Bei Tachykardieformen, bei denen der zugrundeliegende Mechanismus auf sehr umschriebene Ursachen zurückzuführen ist (wie z.B. die AV-Knoten-Reentry-Tachykardie, das WPW-Syndrom, fokale Tachykardien oder gewöhnliches Vorhofflattern), liegen die Erfolgsraten der Katheter-Behandlung zwischen 95 – 99%. Komplikationen sind sehr selten.
In sehr seltenen Fällen ist eine epikardiale (von außen durchgeführte) Ablationstherapie mittels Thorakotomie erforderlich. Diese erfolgt in Kooperation mit der unserer Kinderherzchirurgie.
Im Anschluss an die Ablationstherapie/elektrophysiologische Untersuchung wird der Katheter entfernt und ein Druckverband angelegt. Eine weitere Überwachung im Rahmen des stationären Aufenthaltes erfolgt auf der kinderkardiologischen Überwachungsstation Czerny.
Komplikationen:
Bei der Behandlung im EPU-Labor handelt es sich um ein sehr sicheres und komplikationsarmes Verfahren, das in der Abteilung Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Gießen von international anerkannten Experten durchgeführt wird.
Diese werden Sie aber im Vorfeld der Behandlung auf die möglichen Risiken wie z.B. Blutergüsse, -gerinnsel, Blutungen, Infektionen, Gefäß-, Nerven- oder Hautverletzungen und auf mögliche Allergien hinweisen.
Dreidimensionale Mappingssysteme
In das EPU-Labor integriert ist die neueste Version des modernen drei-dimensionalen Mappingsystems Ensite-Velocity (NavX). Dieses System ermöglicht die Darstellung der dreidimensionalen Geometrie der untersuchten Herzhöhle/n („Ausgusspräparat“) sowie das Erstellen einer elektroanatomischen Landkarte (Map) in Echtzeit und die präzise Navigation der Elektrodenkatheter. Aus diesem Grund können viele der Untersuchungen häufig ohne, oder mit deutlich geringerer Röntgendurchleuchtung, durchgeführt werden. Außerdem können über diese Systeme verschiedene elektrische Informationen von dem untersuchten Herzgewebe gewonnen werden, so dass dadurch eine exakte Lokalisation von erkranktem Gewebe ermöglicht wird. Dies ist vor allem bei der Behandlung von Patienten mit angeborenen komplexen Herzfehlern vor und nach einer möglichen Korrekturoperation hilfreich. So kann die Induktion einer langen Ablationslinie mit diesem System genauer, lückenloser und somit effektiver erfolgen. Auch ein präzises Wiederauffinden von alten Ablationsstellen ist durch die Markierung im 3-dimensionalem Raum ohne Probleme millimetergenau sicher möglich.
Elektrophysiologisches Katheterlabor
Die Abteilung Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Gießen verfügt über ein speziell für die Diagnostik und Therapie von Kindern und Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern ausgestattetes Herzkatheterlabor/elektrophysiologisches Labor (EPU-Labor), das 2018 mit modernster Technik komplett erneuert wurde. Das Labor bietet alle Möglichkeiten der elektrophysiologischen Diagnostik und Therapie, inklusive hochkomplexer Untersuchungen. Als 3-dimensionales Mappingsystem steht das sogenannte Ensite-Velocity (NavX)-System zur Verfügung.
Stationärer Aufenthalt
Einen Tag vor der geplanten elektrophysiologischen Untersuchung erfolgt die stationäre Aufnahme auf unserer kinderkardiologischen Station Czerny. An diesem Tag werden in der Regel folgende Untersuchungen durchgeführt:
- Anamnese und Besprechung/Sichtung der bereits vorliegenden Dokumente/Tachykardie-EKGs
- Körperliche Untersuchung
- Laboruntersuchung und Anlage eines venösen Zuganges
- EKG, ggf. LZ-EKG und Belastungs-EKG
- Echokardiographie (bei externen Patienten)
- Aufklärungsgespräch
Am Untersuchungstag muss der Patient nüchtern sein. Gerne können die Eltern/Angehörige den Patienten in das Katheterlabor begleiten. Auch hier steht Ihnen die Kinderelektrophysiologen (Frau Gonzalez, Herr PD Dr. Backhoff, Herr PD Dr. Kriebel) gerne für abschließende Fragen zur Verfügung. Eine Teilnahme der Eltern an der Untersuchung beziehungsweise Behandlung im Herzkatheterlabor ist aus strahlenschutzrechtlichen Gründen leider nicht möglich.
Am Ende der Untersuchung wird mit den Eltern/Angehörigen noch im Vorraum des Katheterlabors, oder auf der Station Czerny, das Ergebnis der Untersuchung ausführlich erläutert und die weitere Nachsorge besprochen.
In der Regel erfolgt die Entlassung am Folgetag mit einer abschließenden körperlichen Untersuchung, einer EKG- und echokardiographischen Untersuchung und mit einem Entlassungsgespräch.
Die Nachsorge erfolgt in der Praxis des betreuenden (Kinder-) Kardiologen oder in unserer Rhythmusambulanz.
Forschung
Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe pädiatrische Elektrophysiologie des Uniklinikums Gießen ist die klinische Forschung bei Patienten nach einer Korrekturoperation einer Fallot’schen Tetralogie und bei Patienten mit einem Long-QT Syndrom.
Kontakt
Informationen bzw. Terminvereinbarungen können unter den folgenden Telefonnummern vorgenommen werden:
Ambulanz: 0641-985-43477
Abteilungssekretariat: 0641-985-43461
Für Notfälle außerhalb der Regelarbeitszeit (nachts sowie an Wochenenden) kontaktieren Sie bitte die Station Czerny (0641-985-43534) oder die Intensivstation (0641-985-43552).