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Epilepsien und Epileptische Enzephalopathien

Prof. Dr. med. Bernd Axel Neubauer und Dr. med. Hartwig Spors

 

Definition und Epidemiologie

Das wiederkehrende Auftreten von unprovozierten epileptischen Anfällen ist die Definition einer Epilepsie. Mehrere Anfälle, die innerhalb eines Tages auftreten, werden wie ein einzelner Anfall gewertet. Symptomkonstellationen, die ein Anfallsrisiko von über 60% bedingen (z.B. Läsion im MRT und pathologisches EEG u.a.) erlauben die Diagnosestellung bereits nach einem Anfall.

 

Im Mittel erkranken in den entwickelten Ländern ca. 50 von 100.000 Kindern jedes Jahr an einer Epilepsie. Insgesamt machen Kinder einen Anteil von ca. 25% aller Neuerkrankungen aus. Die Prävalenz der Epilepsien im Kindesalter beträgt etwa 0,5%. In der Gesamtgruppe aller Erkrankten überwiegen etwas die Jungen. Etwa 2/3 aller Kinder mit Epilepsie sind kognitiv normal entwickelt. Eine mentale Einschränkung (IQ <70) ist jedoch die häufigste Komorbidität bei Kindern mit Epilepsie.

 

Ätiologie/Ursache

Symptomatische Epilepsien können entweder strukturell, infektiös, metabolisch oder immunologisch ausgelöst werden. Die idiopathisch-genetischen Epilepsien dagegen sind genetische Epilepsien, bei denen – abgesehen von der Epilepsie selbst – keine weiteren Symptome auftreten. Der Anteil idiopathisch-genetischer und symptomatischer Epilepsien ist im Kindesalter etwa gleich hoch. Eine große Anzahl genetisch bedingter monogener Erkrankungen ist fakultativ mit einer symptomatischen Epilepsie assoziiert. Hierzu gehören zahlreiche Stoffwechselstörungen, Phakomatosen, chromosomale Syndrome sowie genetisch bedingte Hirnfehlbildungen. Insgesamt handelt es sich um fast 300 einzelne Erkrankungen. Eine Sonderstellung nehmen die sog. progressiven Myoklonusepilepsien ein.

 

Insgesamt werden aber nur knapp 2% der genetisch bedingten Epilepsien monogen vererbt. Die im klinischen Alltag relevanten, häufigen genetisch-idiopathischen Epilepsiesyndrome sind auf das komplexe Zusammenspiel mehrerer genetischer Faktoren mit den modifizierenden Einflüssen von Umweltfaktoren zurückzuführen. Sie folgen einem polygenen Erbgang. „Genetisch“ ist in diesem Zusammenhang nicht mit „erblich“ gleichzusetzen.

 

Antikörper-vermittelte, also immunologisch ausgelöste Epilepsien (früher: limbische Enzephalitis) haben in den letzten Jahren große Beachtung erfahren und wurden vermutlich lange unterdiagnostiziert, da die diagnostischen Verfahren erst seit kurzem zur Verfügung stehen, bzw. noch stetig weiterentwickelt werden (v.a. Anti-NMDA Rezeptor, Anti-LGl1 Enzephalitis u.a.).

 

Genetische Epilepsien

Bislang wurden nur in einigen wenigen Familien mit häufigen idiopathischen Epilepsien funktionell relevante Gendefekte nachgewiesen. Es handelte sich dabei z.T. um Mutationen in Ionenkanalgenen und Genen die für Proteine der Synaptogenese kodieren. In den jeweiligen Familien stellten die gefundenen Mutationen den Hauptgeneffekt dar. In der weit überwiegenden Mehrzahl anderer Familien oder einzelnen Patienten mit derselben Epilepsieform konnten diese Mutationen dann meist nicht bestätigt werden. Bedeutsam ist aber, dass etwa 3 % aller Patienten mit IGE sog. „copy number variations“ (CNV) aufweisen. Solche genetischen Defekte konnten durch die bis vor Kurzem angewandten DNA-Analysen kaum erfasst werden. Erst mit dem Einsatz der Chiptechnologie wurde deutlich, dass 3 % des humanen Genoms in bestimmten dafür prädestinierten Bereichen Mikrodeletionen oder Mikroduplikationen aufweisen. Befinden sich innerhalb dieser DNA-Abschnitte wichtige Gene, so führt deren Deletion zur Prädisposition für verschiedene Erkrankungen. Bei idiopathische generalisierten Epilepsien wurden mehrere wiederkehrende Mikrodeletionen, z. B. auf Chromosom 15q13.2, 15q11 und 16p13, identifiziert. Die bedeutendste Deletion ist die auf 15q13. Diese DNA-Region beinhaltet u. a. das Gen der α7-Untereinheit des nikotinischen Acetylcholinrezeptors. Zur genetischen Diagnostik sind diese Mikrodeletionen aber nicht geeignet, da sie überwiegend als Prädispositionsfaktoren wirken.

 

Epileptische Enzephalopathien (genetischen Ursprungs)

Bei allen Patienten mit therapierefraktärer Epilepsie unklarer Ursache muss auch an zytogenetische Abberationen gedacht werden. Diese müssen nicht regelhaft mit deutlichen Dysmorphiezeichen einhergehen und können durch ein Karyogramm und SNP-array diagnostiziert werden. Zu den häufig mit Epilepsie assoziierten Chromosomenabberationen zählen das Ringchromosom 20, die invertierte Duplikation 15 und das Ringchromosom 14. Bei Patienten mit chromosomalen Mosaiken kann eine Behinderung fehlen und nur eine Epilepsie vorliegen. Bei Patienten mit Fehlbildungen des Gehirns findet man in ca. 20% der Fälle Auffälligkeiten (sog. InDels) in der SNP-Array Untersuchung.

 

Die größten Fortschritte in der Epilepsiegenetik wurden in den letzten Jahren bei den epileptischen Enzephalopathien (Otahara Syndrom, West Syndrom, Lennox-Gastaut und ESES bzw. Landau-Kleffner Syndrom) erzielt. Inzwischen können bei den genetisch verursachten Fällen in 30-40 % Fälle ursächliche (Neu)mutationen in einer Gruppe von ca. 100 Genen nachgewiesen werden. Bei diesen Krankheiten ist genetische Diagnostik unerlässlich geworden und hat große diagnostische und manchmal auch therapeutische Relevanz. Hier sind eine Chromosomenanalyse, eine SNP-array und Genpaneluntersuchung indiziert. Es gilt, umso schwerer die Epilepsie, umso früher der Epilepsiebeginn umso höher die Wahrscheinlichkeit einen genetischen Defekt zu diagnostizieren. Einige Beispiele der wichtigsten - es gibt fast 100 unterschiedliche - Gene deren Defekte zu Epileptischen Enzephalopathien führen:

 

AARS                    (Cytochrome C oxidase Mangel - Epilepsie, Mikrozephalie…)

ALDH7A1            (Lysinmetabolismus - Vit. B6 abhängige Epilepsie, Retardierung)

CACNA1A           (P/Q Typ Kalzium-Kanal A1A - Epilepsie, Migräne, Episodische Ataxie…)

CDKL5                  (bindet an methylierte DNA, Synaptogenese - Rett Syndrom Variante mit schwerer
                               Epilepsie),

CHD2                    (Chromatinaufbau -  Photosensibilität, schwere Epilepsie…)

DNM1                  (Membrantransport vom Endopl. Reticulum zum Golgi Apparat – schwere Epilepsie…)

FOXG1                 (Regulator kortikaler Zelldifferenzierung – Epilepsie, Retardierung…)

GABRB                 (GABA-Rezeptor, Inhibition kortikaler Aktivität – Epilepsien)

GRIN1                  (Glutamat-Rezeptor, Exzitation kortikaler Aktivität – Epilepsien, Retardierung)

KCNQ2                 (Kaliumkanal – benigne Neugeboreneanfälle bei „loss of function“, epileptische
Enzephalopathie bei „gain of function“ Mutation)

KCNT1                  (Kaliumkanal – maligne migrierende partielle Anfälle bei „gain of function“, autosomal dominante nächtliche Frontallappenepilepsie bei „loss of function“ Mutationen)

PCDH19               (Protokadherin zur Verbindung kortikaler Zellen – Epileptische Enzephalopathie nur
                               bei Mädchen)

POLG                    (Mitochondriale DNA-Polymerase – Alpers Syndrom, Valproathepathopathie,…)

SCN1A                  (Natriumkanal der Interneurone – Dravet Syndrom, GEFS, Fieberkrämpfe…)

SLC1A2                 (Glutamattransporter – frühe epileptische Enzephalopathie)

TSC1, TSC2         (Bestandteil des mTOR Signalwegs – Tuberöse Sklerose, West Sysndrom)

 

Alle diese Gene werden in unserem eigenen Labor entweder in Form von sog. Genpanels oder einem klinischen Exom untersucht.

 

Literatur:

Neubauer BA, Hahn A (2014) Dooses Epilepsien im Kindes- und Jugendalter. Springer, Heidelberg, 13. Auflage

 

Schumacher M, Rommel FR, Arneth B, Renz H, Stöcker W, Windhorst A, Hahn A, Neubauer BA. Encephalopathy Associated With Neurochondrin Autoantibodies. J Child Neurol. 2019 Oct;34(11):660-665. doi: 10.1177/0883073819849773. Epub 2019 May 29.

 

Bobbili DR, Lal D, May P, (17 coauthors), Neubauer BA. Exome-wide analysis of mutational burden in patients with typical and atypical Rolandic epilepsy. Eur J Hum Genet. 2018 Feb;26(2):258-264.

 

Lal D, Reinthaler EM, Schubert J, (12 coauthors), Neubauer BA. DEPDC5 mutations in genetic focal epilepsies of childhood. Ann Neurol. 2014 May;75(5):788-92.

 

Lemke JR, Lal D, Reinthaler EM, (26 coauthors), *Zimprich F, *Neubauer BA, *Biskup S, *von Spiczak S. *=shared senior authorship. Mutations in GRIN2A cause idiopathic focal epilepsy with rolandic spikes. Nat Genet. 2013 Sep;45(9):1067-72. doi: 10.1038/ng.2728. Epub 2013 Aug 11.